Hallo ihr Lieben,
Leute die mich kennen, kennen mich als extrovertierte Quasselstrippe. Habe ich das Gefühl, dass mit der Person die Chemie stimmt und ist genug Vertrauen da, erzähle ich fast alles. Dabei kann es auch mal vorkommen, dass ich extrem aushole. Es gibt aber auch die andere Seite von mir: schüchtern, unsicher und bloß nicht reden, was mich manchmal oberflächlich und überheblich wirken lässt, dient aber nur dem Selbstschutz. Die Erfahrung, die ich vor vielen Jahren unbedingt machen musste, half mir etwas besser mit dieser anderen Seite zurechtzukommen und selbstbewusster zu werden.
Aus einer einfachen Bauchentscheidung heraus, beschloss ich ca. im April 2006 für ein halbes Jahr als Au-pair ins Ausland zu gehen. Nachdem ich im Jahr zuvor meine Ausbildung zur Kosmetikerin abgeschlossen hatte, war es schwierig, im Berufsleben Fuß zu fassen. Ich stand an einem Punkt, an dem ich nicht wusste, was ich wollte und auch Angst vor der Zukunft hatte. Denn schon immer und auch heute noch habe ich Angst vor der Ungewissheit und Angst etwas Neues zu beginnen. Eine meiner Freundinnen war bereits als Au-pair in Amerika, eine weitere entschied sich dazu, 1 Jahr als Au-pair nach Irland zu gehen. Unser gemeinsames Lieblingsland.
So meldete ich mich bei einer Webseite an, auf der Familien Au-pairs suchten. Alles ging so schnell. Schnell hatte ich eine tolle Familie gefunden und schon knappe 3 Monate später konnte das große Abenteuer beginnen. Ich erinnere mich an einen schmerzvollen Abschied von meiner Familie und noch ein viel schlimmeren Abschied von Opa, Mutter und Onkel am Flughafen. Ich heulte noch lange im Flugzeug, sodass ich schon komisch angeguckt wurde. Langsam machte sich auch Nervosität in mir breit, was hatte ich mir da nur gedacht. Ich alleine in einem mir eigentlich fremden Land, andere Sprache, die ich von nun an den ganzen Tag sprechen müsste. In der Schule war ich zwar immer ziemlich gut in Englisch, aber in Urlauben nie selbstbewusst genug, wirklich freizusprechen. Das überließ ich meinen Freundinnen.
Am Flughafen wurde ich von meiner Gastmutter und ihren Töchtern abgeholt. Die Familie war toll, mich hätte es damals nicht besser treffen können. Im Auto sagte meine Gastmutter noch, dass es bestimmt nicht lange dauern wird, bis ich mich an die Sprache gewöhne und ich sicherlich bald auf Englisch denken würde. Das dauerte wirklich nicht mal 2 Wochen. So schön es dort auch war, merkte ich trotzdem sehr schnell, dass die Sehnsucht nach Hause wahnsinnig groß ist. Doch dieses halbe Jahr musste ich nun durchziehen, ein Abbruch kam für mich nicht infrage.
Als ich nicht mal 1 Monat in Irland war, wollte ich alleine mit dem Bus in ein Shopping-Center außerhalb von Dublin fahren. Ich war zuvor schon mal mit der Mutter und den Kindern dort, das Center gefiel mir sehr. Doch es war die 1. Busfahrt dort hin. Ich erkannte nicht, wann ich hätte aussteigen müssen. So kam es, dass ich zu spät den Knopf betätigte und bis in die Innenstadt von Dublin fuhr. Ich war erstmal völlig fertig und hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Extrageld für eine neue Busfahrt wollte ich nicht ausgeben und wusste ja nicht mal, womit ich überhaupt fahren sollte. Nachfragen war völlig unmöglich. Ich war noch viel zu unsicher.
Also kaufte ich mir erstmal einen Stadtplan. Ich dachte, so weit kann der Weg ja nicht sein, wir waren ja mit dem Bus auch schnell in der Stadt. Der Weg dauerte über 2 Stunden, immer wieder dachte ich, ich hätte mich verlaufen, da es mir unvorstellbar vorkam, dass es so weit war. Ich erinnere mich noch, wie verzweifelt ich war, während ich lief. Hin und wieder weinte ich, weil ich mich so über mich selbst ärgerte. Nachdem ich endlich im Center angekommen war, hatte ich nicht mehr so viel Lust auf Shoppen und begrenzte mich auf einige Shops.
Doch auch der Rückweg lief nicht ohne Tücken ab. An der Bushaltestelle hatte ich gelesen, dass der kommende Bus nicht an der Stelle halten würde, wo ich eingestiegen war, sondern nur ein Ort zuvor oder einen Ort weiter. Da ich keine Lust mehr hatte, noch länger auf den nächsten Bus zu warten, dachte ich erneut, ich könnte ja dann laufen. Da ich feststellen musste, dass ich nicht mal mehr genug Geld auf dem Handy hatte, um meine Gastfamilie anzurufen oder zu schreiben, damit sie mich abholen konnten. So lief ich den Weg, den ich schon von Autofahrten kannte. Wieder dachte ich, so weit kann es ja nicht sein.
Oh was wünschte ich, es hätte schon damals Smartphones gegeben. Das hätte es alles einfacher gemacht. Es war ein Weg von 5 km, nur hatte ich keine Ahnung und kein Gefühl dafür, wie weit ich schon gelaufen war. Irgendwann bekam ich Panik. Ich kam an einem Pub vorbei, der mir vorher schon mal aufgefallen war. Es war an der Zeit, nach Hilfe zu fragen. Ich fragte nach einem Telefon. Man war sehr hilfsbereit. Ein Mann war dort, der mich erkannte. Er war ein Freund der Nachbarn und wusste sofort, wer ich war und wo ich hingehörte. Er bot mir an, mich „nach Hause“ zu fahren. Ich war einfach nur froh über diese Hilfe. Rückblickend, jetzt selbst als Mutter, könnte ich mich ohrfeigen, dass ich einfach mitgefahren bin, obwohl ich den Mann gar nicht kannte, auch wenn er mich nur „nach Hause“ gefahren hat.
Nach diesem Ausflug ging meine Gastmutter immer auf Nummer sicher, ob ich auch Geld auf dem Handy hatte, falls etwas sein sollte. Ich unternahm danach keine weiten Reisen, beschränkte mich auf das, was ich kannte, womit ich vertraut war. Darüber ärgere ich mich eigentlich noch heute. Hatte ich doch eigentlich ein halbes Jahr Zeit, mein Lieblingsland zu erkunden. Doch alleine wollte ich dies auch nicht tun. Mit meiner Freundin hatte ich mich zerstritten. Während sie die Freiheit genoss in dem fremden Land, schränkte mich meine Sehnsucht nach Hause ein.
In dem Dorf Bekanntschaften zu machen, war nicht sehr leicht. Entweder waren die Menschen dort deutlich jünger oder deutlich älter als ich. Während eines Spaziergangs mit dem Kleinsten, der damals gerade mal 2 war, lernte ich eine ältere Frau kennen, mit der ich mich gut verstand und sie war sehr lieb. Ich besuchte sie öfter am Wochenende zum Kaffee.
Es ist erstaunlich, wie sich vieles im Vergleich zu 2006 verändert hat. Mit der heutigen Technik und den heutigen Möglichkeiten, Leute kennenzulernen, wäre es mir damals bestimmt einfacher gefallen. Vielleicht möchte ich es mir damit aber auch nur schön reden, dass es mir damals alles so schwergefallen war. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung gemacht habe und mich selbst dazu bewegt habe, etwas auszuprobieren. Dadurch lernte ich für mich, dass ich nicht zu weit weg von meiner Familie wohnen möchte. Das Ausland stand für mich nicht mehr zur Debatte.
Dieses Abenteuer hat mich etwas selbstbewusster gemacht, auch wenn ich über die Jahre wieder einige Rückschritte gemacht habe.
Trotz alledem denke ich sehr gerne an die Zeit in Irland zurück. Ich hatte immer so viel Spaß mit den Kindern, auch wenn ich danach erstmal geheilt war von Kindern. In eine Mutterrolle oder ähnliches muss man eben hineinwachsen und selbst dann ist es manchmal gar nicht so einfach. Die Vorstellung, Olli könnte sich in dem Alter entscheiden, einige Zeit im Ausland zu verbringen, macht mich ganz wahnsinnig.
Das war heute eine kleine Reise in die Vergangenheit. Schade ist eigentlich auch, dass ich vieles über die Jahre vergessen habe. Ich habe zwar einige Fotos, aber ich wünschte, es wären mehr. Die Familie habe ich in der Zeit danach noch 2-mal besucht und die Freude war auf beiden Seiten immer sehr groß, doch der letzte Besuch ist nun schon 7 Jahre her. Wenn ich die Zahl so schreibe, kann ich es gar nicht glauben.
Liebe Grüße
Sabrina